Die Offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) ist ein Schwerpunkt der Arbeit vieler Träger des Münchner Trichters. „Wir sind die Zukunft“ ist ein Aktionsbündnis des Münchner Trichters mit dem Fachforum Freizeitstätten und dem Kreisjugendring München-Stadt. 2016 wurde hier begonnen, eine Standortbestimmung der OKJA in München vorzunehmen – ein zentrales Thema für aktuelles und zukünftiges Arbeiten des Münchner Trichters.
Wir diskutierten zunächst in einem kleinen Rahmen, was die Aufgaben der OKJA heute sind, welche Bedarfe Kinder und Jugendliche haben, in welchem Spannungsfeld unterschiedlicher Ansprüche wir uns bewegen und welche Anforderungen wir an uns selbst und unser pädagogisches Handeln stellen. Im Kontext des Fortschreibungsprozesses der Rahmenkonzeption Offene Kinder- und Jugendarbeit hat dieses Bündnis im März 2017 einen Fachtag mit rund 70 Teilnehmenden veranstaltet: Eingeladen waren nicht nur die pädagogischen Fachkräfte der freien Träger der Bündnispartner, sondern auch die Mitarbeiterinnen* und Mitarbeiter* des Steuerungsbereichs im Stadtjugendamt.
Die Veranstaltung war nicht nur trägerübergreifend konzipiert – vielmehr richtete sie sich „generationenübergreifend“ explizit sowohl an erfahrene wie auch an neu im Feld tätige Mitarbeiterinnen* und Mitarbeiter*, um in jeder Hinsicht einen breit angelegten Dialog zu ermöglichen. Ziel bzw. Inhalt der Veranstaltung war es zum einen, eine selbstkritische Standortbestimmung vorzunehmen, zum anderen sollte aber auch das eigene fachliche Profil reflektiert und geschärft werden und die erarbeiteten Ergebnisse in den Prozess der Fortschreibung der Rahmenkonzeption der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in München einfließen.
Der Fachtag widmete sich den Strukturprinzipen der OKJA und diskutierte diese anhand folgender Fragestellungen:
• Was benötigen die Kinder und Jugendlichen aktuell in und von der OKJA im Hinblick auf Sozialraum, Mitbestimmung, Offenheit, Subjektorientierung und Freiwilligkeit?
• Welche wichtigen Aufgaben erfüllt damit die OKJA beim gelingenden Aufwachsen in der heutigen Gesellschaft?
• Welche Voraussetzungen benötigen die Pädagoginnen* und Pädagogen* sowie das Stadtjugendamt, um diesen Bedarfen gerecht zu werden?
Inhaltlich wurde die Selbstreflexion und –beschreibung entlang der fünf Strukturprinzipien – Offenheit, Freiwilligkeit, Partizipation, Subjektbezug, Sozialraumorientierung – vorgenommen: Nachdem zunächst in einem Plenum kurze Impulse gesetzt wurden bzw. ein erster Teaser zu den möglichen Bedeutungen, Herausforderungen und Möglichkeiten der einzelnen Strukturprinzipien gegeben wurde, trafen sich anschließend Arbeitsgruppen, die jeweils ein einzelnes Strukturprinzip behandelten. Bei der Arbeit in diesen moderierten Gruppen wurde zunächst ausgelotet, welche Bedarfe Kinder und Jugendliche heute hinsichtlich der Prinzipien Offenheit, Freiwilligkeit, Partizipation, Subjektbezug und Sozialraumorientierung haben.
In einem zweiten Schritt wurden die Möglichkeiten und Grenzen der Realisierung dieser Prinzipien diskutiert und hinterfragt, welchen Beitrag die OKJA für das gelingende Aufwachsen von jungen Menschen in der heutigen Gesellschaft leistet. Schließlich wurden in einem dritten Schritt die rahmenden Bedingungen und Arbeitsstrukturen untersucht, ob und inwiefern sie für eine umfassende Realisierung der Prinzipien als förderlich oder hinderlich zu bewerten sind.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Strukturprinzip“?
Der Begriff „Strukturprinzip“ verdeutlicht zunächst, dass es sich um handlungsleitende Arbeitsprinzipien handelt, über die sich das Feld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit laufend neu konstituiert: In der OKJA wird gemäß dieser Prinzipien eine Vielzahl an Maßnahmen und Projekten entwickelt und realisiert. Wie unterschiedlich auch immer diese Projekte erscheinen, so lässt sich bei einem vergleichenden Blick auf die Intentionen doch ein gemeinsames Muster bzw. eine verbindende innere Logik erkennen, die kein anderes Feld der Jugendhilfe hat. Dabei verweisen die Inhalte der verschiedenen Prinzipien wie z. B. der „Offenheit“ und der „Freiwilligkeit“ stets aufeinander: In ihrer Realisierung bedingen sich die Prinzipien gegenseitig und in ihrem Zusammenspiel – im Sinne einer prinzipiellen Herangehensweise – sichern sie den Erfolg der Maßnahmen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Insofern wirken die Strukturprinzipien strukturbildend. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, verweist der Begriff darauf, dass die Mitarbeiterinnen* und Mitarbeiter*, Kinder und Jugendliche im Feld der OKJA sich ihrerseits in einem bereits vorstrukturierten, gegebenen Rahmen bewegen können und „müssen“. So ermöglicht bzw. fördert z. B. das Strukturprinzip der „Offenheit“ bestimmte Handlungsspielräume, während andere dadurch unwahrscheinlicher gemacht oder verwehrt werden.
Schließlich weisen die Strukturprinzipien einen normativen Gehalt wie auch einen „Streitwert“ auf: Über die Prinzipien lassen sich nicht nur bestimmte, anzustrebende Qualitäten beschreiben, an der sich die Projekte und Maßnahmen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit orientieren sollen. Zudem lassen sich die Qualitäten auch als ein „schützenswertes Gut“ verstehen, welches – im Sinne einer Parteilichkeit für Kinder und Jugendliche – gegen andere Interessen zu vertreten und zu behaupten ist. Alle Prinzipien bedürfen, begleitend zu deren aktiver Ausübung, einer politischen Anwalts-Funktion: Fachkräfte, Träger und Steuerung teilen nicht nur mit der Kommunalpolitik die Verantwortung für – den Prinzipien – dienliche Rahmenbedingungen in der OKJA. Vielmehr haben sie es auch zu skandalisieren, wenn bestimmte Lebensbedingungen es Kindern und Jugendlichen erschweren oder sogar unmöglich machen, sich z. B. öffentliche Räume aneignen zu können, die eigenen Belange entfalten und vertreten zu können oder zu selbstbewussten, solidarischen jungen Menschen heranwachsen zu können. Damit die Strukturprinzipien den Fachkräften im alltäglichen Handeln tatsächlich eine Orientierung bieten können, bedarf es immer wieder einer Auseinandersetzung mit der inhaltlichen Frage, wie die Prinzipien im Einzelnen interpretiert und konkret ausgefüllt werden sollen. Diese Bedeutungen können nicht einmalig fix gesetzt werden, sondern sind als dynamische, kontext- und situationsabhängige Größen zu verstehen. In der Konsequenz bedeutet dies einen Bedarf an kontinuierlicher (Selbst-)Reflexion wie auch die Notwendigkeit von Aushandlungsprozessen auf allen Ebenen, z. B. zwischen Fachkräften und Kindern bzw. Jugendlichen, aber auch zwischen Fachkräften, Trägervertretungen und der Steuerung.
Als Fazit des Fachtags kann festgehalten werden: Die OKJA erfüllt mit der Realisierung der Strukturprinzipien eine zentrale Funktion für das Hineinwachsen von Kindern und Jugendlichen in die Stadtgesellschaft. Die OKJA stellt – im Zuge der Realisierung der Strukturprinzipien – ganz bestimmte Settings bereit. Diese ermöglichen Kindern und Jugendlichen spezifische Erfahrungen (wie z. B. der Selbstwirksamkeit), die sie in ihrer alltäglichen Lebenswelt andernorts nicht oder nur selten machen können, die jedoch auf dem Weg hin zu einem selbständigen Leben erforderlich sind. Außerdem haben die Diskussionen gezeigt, dass unterschiedlichste Strukturen und Umstände auch immer wieder eine Realisierung der Prinzipien gefährden oder begrenzen können, wie z. B. einschränkende gesetzliche Vorgaben, rigide Leitlinien, knappe Ressourcen im Feld oder auch bestimmte Haltungen oder unreflektierte Überzeugungen. Auf diese Faktoren kontinuierlich hinzuweisen, stellt eine bleibende Herausforderung für Fachkräfte, Träger und Fachsteuerung dar. Und es wurde an dem Fachtag erlebbar, dass ein solches gemeinsames Ringen und Streben nach guten Bedingungen zur Realisierung der Strukturprinzipien eine verbindende und stärkende Wirkung haben kann: Die Teilnehmenden waren sich in ihren abschließenden Statements darin einig, dass an diesem Tag ein Stück der Identität „Wir, die OKJA“ in jedem Fall gewachsen ist.