wir bewegen Soziales, Kultur und Bildung

Perspektiven kultureller Bildung

Brigitte Wurbs, K.-M. Brand
ECHO e.V.

Kulturelle Bildung – Herausforderung und Ressource vor dem Hintergrund des Normalitätsprinzips

Ausgangsthese: Kultur stellt den Rahmen für das Leben:
Der Mensch ist die einzige Spezies auf der Erde, die eine Kultur entwickelt. Kultur ist darum schlichtweg die geistige Grundlage unserer Gesellschaft, sie ist unsere Identität und daher Selbstzweck und nicht instrumentelles Mittel zum Zweck.
Kultur ist nicht nur „Wissen“, sondern muss vor allem auch erfahrbar gemacht werden. Vor allem Kinder und Jugendliche sind auf der Suche nach ihren Werten und nach Orientierung, nach eigenen Lebensentwürfen und Lebensstilen, nach der eigenen „Lebenskultur“ und das gilt für alle Kinder und Jugendliche.

Inklusion ist seit der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in aller Munde. Die Schule bzw. das schulische System steht hierbei im öffentlichen Aufmerksamkeitsdiskurs an vorderster Stelle. Dies ist insofern gerechtfertigt, als das Schulwesen eine wesentliche Schnittstelle in der Aufspaltung gemeinsamer Bildungswege von Kindern mit und ohne Behinderung(en) im Anschluss an Krippe und Kindergarten darstellt. Folge dieser Aufspaltung sind Parallelwelten von Kindern mit und ohne Behinderung(en), die auch auf die anderen gesellschaftlichen Bereiche, somit auch auf die kulturelle Kinder- und Jugendbildung, Folge zeigen.

Kulturelle Bildung als Herausforderung und Ressource:
Durch zielgruppenspezifische Bildungsangebote und situationsbezogene Bildungsarrangements werden Ressourcen von Kindern und Jugendlichen mobilisiert, sie erlernen autonom Fähigkeiten, Selbstvertrauen, entwickeln ihre eigenen kreativen Ausdrucksformen und eigene Identitäten, welche das „Rüstzeug“ darstellen um ihr Leben zu meistern – unabhängig von systematisierten Bildungsvorgaben. Kinder und Jugendliche agieren hier selbstverantwortlich als sich bildende Individuen wie auch als aktive Vermittler – darauf gründet auch die Ergebnisorientierung der Angebote kultureller Bildung als „Ernstfallsituation“ mit individuellem Qualitätsanspruch. Kinder und Jugendliche mit Behinderung haben selten direkten, selbstbestimmten Zugang zu Angeboten der kulturellen Bildung. Hier einen gleichberechtigten Zugang zu schaffen ist aus unserer Sicht Aufgabe, sowohl für außerschulische Träger, als auch für Schulen.

Kulturelle Bildung und Schule – Angebotsstrukturen im Wandel der Zeit:
In den letzten 20 Jahren hat sich aus unserer Sicht das Verhältnis der traditionell außerschulischen, subjektorientierten, informellen bis non formalen Angebote der kulturellen Bildung zum Bildungsanbieter Schule massiv verändert.

Der Einstieg war ein loser Kontakt, bei dem offene kulturpädagogische Spiel- und Lernräume ihr Programm um ein vormittägliches Programm – zeitlich und didaktisch auf Schulklassen zugeschnitten – erweiterten und diese Programme gesondert bewarben.
In einem weiteren Schritt forderten Schulen, die die Angebote kennengelernt hatten, ihrerseits Projekte als Ergänzung zum Schulalltag in der Schule an.

Als nun das Thema Ganztagsschule mit einer Verschränkung von Freizeit, außerschulischen Bildungsangeboten und Unterrichtszeit als Einheit immer aktueller wurde, lag es nahe, Partnerschaften zwischen Schule und außerschulischen Anbietern zu entwickeln. Dies brachte den Schulen auch Vereinfachung bei der Qualitätssicherung.
Es gibt also eine Vielzahl von Angeboten rund um die Schule, allerdings gibt es keine ernsthafte Regelung einer Kooperation auf Augenhöhe, weil das zuständige Landesministerium dies für die Kooperation mit außerschulischen Bildungsträgern einfach nicht zulässt. Ganz pragmatisch profitieren die Schüler, die Schule und der Träger ganz enorm von guten Kooperationen. Die zusätzliche Kompetenz, die die freien Träger der Schule anbieten können, entwickeln diese aber ganz eindeutig im Laboratorium der außerschulischen kulturellen Bildung, deren inhaltliche und organisatorische Selbständigkeit uns allen im Zuge zunehmender Serviceorientierung deswegen keinesfalls aus dem Blickfeld geraten darf.
Eine weitere Gefahr stellt hier auch der sogenannte Midaseffekt im Zusammenhang mit institutionalisierter Schulverwaltung dar: „Alles, was Schule anfasst ist irgendwann Schule…“

Was für Regelschulen gilt, ist im Förderschulbereich potenziert schwierig: Kaum eine Förderschule geht Kooperationen mit außerschulischen Trägern kultureller Bildung ein: „Das ist nichts für unsere Kinder „ hören wir oft von den Lehrern, „sie sind damit überfordert…“.
Die nach wie vor bestehende Differenzierung des Schulsystems führt dazu, dass Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderung(en) größtenteils in schulischen Parallelwelten leben. Kinder und Jugendliche mit Behinderung(en) verbringen einen Großteil ihrer Zeit eben nicht wohnortnah bzw. in ihrem häuslichen Sozialraum und ein gemeinsames Aufwachsen ist somit nicht selbstverständlich. Dadurch kommt es häufig zu Berührungsängsten, Vorurteilen und Abgrenzungsprozessen. Umso wichtiger ist uns sowohl im schulischen wie im außerschulischen Zusammenhang, Anlässe zu gemeinsamen Kulturerlebnissen bereitzustellen, die Barrieren im Kopf überwinden helfen.

Kulturelle Bildung und das Normalitätsprinzip:
Kulturelle Bildung ermöglicht durch Förderung sinnlicher Wahrnehmung und Förderung von kreativen Fertigkeiten und Ausdrucksfähigkeit zum einen die konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit Geschichte, Traditionen, Werten und kulturellen Leistungen der eigenen Lebensumwelt, erleichtert aber auch durch die Produktion eigener kultureller Äußerungen das Verständnis für das „Fremde“, für das „Andere“.
Kulturelle Bildung bietet großen Spielraum für Inklusion. Alle erleben und nehmen einen gemeinsamen Prozess wahr, in dem jede/jeder Einzelne seinen sicheren Platz hat und somit eine Teilnahme für alle gewährleistet ist, nach der Maxime „Es ist normal, verschieden zu sein.“ (R. v. Weizäcker). Wertüberzeugungen treffen aber auch auf Hindernisse und es stellt sich für Jugendliche die Frage „Wie kann ich diese überwinden?“

Kulturelle Bildung wird auch als Hilfe und Unterstützung im Sinne von Empowerment beim Erwerb von Lebenskompetenzen und bei der Herausbildung von Persönlichkeit verstanden.
Sie beinhaltet eigenständige Prinzipien, die sich an den spezifischen Strukturprinzipien der Kinder- und Jugendarbeit wie Freiwilligkeit, Offenheit für alle Kinder und Jugendlichen, Lebensweltbezug und Partizipation orientieren.

Ein weiteres positives Moment ist das projektorientierte Arbeiten: Gemeinsames Spielen und gemeinsame Erfahrungen lassen eine Behinderung leicht in den Hintergrund treten, da der Spaß am gemeinsamen Tun und das angestrebte Ergebnis im Fokus stehen. Sehr positive Erfahrungen haben wir seit 20 Jahren mit inklusiven kulturpädagogischen Projekten in den verschiedensten Sparten im außerschulischen, aber auch immer mehr im schulischen Kontext gemacht. Nötig sind aus unserer Sicht eine stärkere Vernetzung der Aktivitäten von Behindertenhilfe, Anbietern formaler, non-formaler und informeller Bildung, um Angebote der kulturellen Bildung wirklich für alle Kinder und Jugendliche zugänglich zu machen.

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